Viele Unternehmen folgen heute einem hierarchischen Organisationsmodell, das Aufgaben und Abteilungen wie z.B. Einkauf, Entwicklung und Personal streng voneinander abgrenzt und in ein pyramidales System einordnet. Dieses Organisationsdesign hat einen Steuerungsmechanismus hervorgebracht, der zwei Richtungen kennt: Die Anweisung erfolgt Top-down und die Kontrolle Bottom-up in Form von Berichten und Reports.
Dieses Modell hat sich über Jahrzehnte bewährt, erfährt jetzt jedoch flächendeckend einen Umbruch. Immer mehr Unternehmen führen vermehrt agile Arbeitsweisen aus verschiedensten Gründen ein, wobei sich die meisten von ihnen zunächst nur an der Spitze des Eisbergs bewegen. Agil ist zum Trend geworden. Zu einem Trend, den jeder zu verstehen glaubt, aber den nur die wenigsten durchdrungen haben. Und genau hier ist das Problem.
Die Menschen kratzen wie so oft nur an der Oberfläche und tatsächlich wird agiles Arbeiten oft gleichgesetzt mit der Einführung von Dailies, KanBan Boards und Sprints. Man beschränkt sich also darauf, die Prozesse, Rollen und Tools zu ändern und erliegt dem Irrglauben von heute auf morgen agiles Arbeiten implementiert zu haben. Dass das nicht alles sein kann, besagt schon das agile Manifest: Individuen und Interaktionen stehen ÜBER Prozessen und Werkzeugen.
Sicher sind Methoden und Tools ein großer Bestandteil der Agilisierung, ohne die es vielen Firmen schwer fällt, von einer klassischen Arbeitsweise abzurücken. Durch das bloße Anwenden von Tools und Methoden wird man aber nicht agil. Und genau das ist auch der Grund, warum agiles Arbeiten oft von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist oder als „Buzzword“ abgestempelt wird. Außerdem werden Aufgaben oft horizontal verteilt und an der Denkweise der Mitarbeiter und vor allem an den Hierarchien hat sich nichts geändert. Und genau das ist der Punkt.
Doch was bedeutet „Agile Being“ wirklich?
„Agile Being“ ergibt sich nicht nur aus Techniken und Methoden, sondern vielmehr aus Prinzipien, Werten, Transparenz, hoher Selbstverantwortung, Commitment und Vertrauen.
Es geht um Kultur und Mindset. Es geht um
- die Transparenz, offene Kapazitäten aufzuzeigen oder zu zeigen, wie weit man während eines Sprints gekommen ist – oder auch nicht.
- die Selbst- und Eigenverantwortung und die intrinsische Motivation Themen zu behandeln, ohne dass die Zuweisung vorher durch eine Hierarchie erfolgt ist.
- das Commitment, eine Aufgabe zu seiner eigenen zu machen ohne Wenn und Aber.
- das Vertrauen seitens der Führung in die Mitarbeiter, dass die Art und Weise, wie die Themen angepackt werden, auch die richtige ist.
- Vertrauen in die kollektive Expertise der Teams, ohne dass ein wöchentlicher Bericht an die Managementebene geliefert werden muss.
- Mut zur Offenheit und das wirkliche Verstehen, dass inkrementelles Arbeiten genau dazu da ist, um (früh) Fehler zu machen. Es bringts nichts, alte Praktiken und Rollenverständnisse zu leben, ohne diese an der neuen Wertschöpfung auszurichten.
- das Umdenken weg von Macht und Positionen hin zu Ambitionen.
Erfolgreiche Führung in der VUCA Welt verlangt nach neuen Leadership-Konzepten. Entscheidungskompetenzen müssen nach unten verlagert und die stärkere Trennung von fachlicher und sozialer Führung forciert werden. Die Führungskraft agiert nun vielmehr als Coach, definiert Anforderungen und Rahmenbedingungen und gibt damit einen klaren Purpose vor, an dem sich das Team orientieren kann. Die Erarbeitung des Wegs zu Zielerreichung wird aber an das Team selbst abgegeben, damit dieses seine Handlungen am Purpose ausrichten können.
Wichtig ist, dass die Führungsebene ebenfalls versteht, dass Mircomanagement vermieden werden muss und den Teams die persönliche Veränderungsbereitschaft vorlebt, um nachhaltig agile Transition umsetzen zu können. Empathie, Offenheit, Intuition und der Mut zur Flexibilität sind die Voraussetzungen, die notwendig sind, um echte agile Exzellenz zu erreichen.
Es ist nicht alles Gold was glänzt – zumindest nicht, wenn man sich auf agile Methoden und Tools beschränkt. Um wirkliche Agilität zu erleben, muss man tiefer graben und sich und sein Tun ständig reflektieren und hinterfragen. Ein agiles Mindset lässt sich nicht von jetzt auf gleich etablieren, sondern bedarf eines stetigen inneren Bewusstwerdens der eigenen Werte und Vorgehensweisen, sodass sich letztendlich ein selbstorganisiertes, lernendes System entwickeln kann.
