Die Change-Kurve – Warum ein Modell zur Sterbebegleitung in der Organisationsentwicklung Einzug gehalten hat

In der Welt der Organisationsentwicklung versteht man unter dem Begriff des Change Management die kontinuierliche Anpassung der Unternehmensstrukturen, -prozesse sowie der -kultur an sich ständig verändernde Rahmenbedingungen.

Wenn von Veränderungen in Unternehmen und Organisationen gesprochen wird, dann darf hier eines nicht aus den Augen verloren werden:

Verändern muss sich vor allem der Mensch, der hier arbeitet.

Ein Prozess ist auf dem Papier schnell angepasst, ob sich dieser allerdings als effizient und zielführend gestaltet, zeigt sich erst bei der Implementierung durch den Menschen selbst.

Elisabeth Kübler-Ross beschreibt mit dem 5-Phasen-Modell aus ihrem Buch „On Death and Dying“ (Interviews mit Sterbenden, 1969) die Emotionen von Menschen, denen, in den Augen der meisten von uns, die wahrscheinlich schlimmste Veränderung bevorsteht: Der eigene Tod.

Die folgende Grafik unternimmt den Versuch, diese Emotionen im Zeitverlauf darzustellen:

Abbildung 1: Kübler-Ross Kurve: 5-Phasen-Modell der Emotionen Sterbender (Kübler-Ross, 1969)

Die Kurve bildet das Befinden (Y-Achse) der betroffenen Person im Zeitverlauf (X-Achse) ab.

Genaue Zeitangaben gibt es nicht, denn die Kübler-Ross-Kurve geht nur davon aus, dass es diese 5 Phasen grundsätzlich gibt. Wie lange jede einzelne anhält, in welcher Reihenfolge sie vorkommen, ob sie sich wiederholen, überschneiden oder ob einzelne Phasen ausbleiben, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Aber warum bedient sich nun die Organisationsentwicklung, welche sich doch darauf konzentrieren sollte, Unternehmen stetig ins Positive weiterzuentwickeln, ausgerechnet diesem Modell?

Jede Veränderung bedeutet Verlassen der Komfortzone und – auch wenn wohl keine Veränderung in Organisationen mit dem eigenen Tod zu vergleichen ist – geht es doch um den Abschied vom Alten und die Akzeptanz des Neuen.

Und genau diese Phase des Übergangs wird von uns allen individuell wahrgenommen und muss professionell begleitet werden.

Im Laufe der Zeit wurde die Kübler-Ross-Kurve durch diverse Experten für die Welt der Organisationsentwicklung verändert und angepasst.

So gibt das 7-Phasen Modell der emotionalen Reaktionen in Change Management Prozessen von Richard K. Streich (1997) eine Orientierung, mit welchen Verhaltensweisen, in Folge abrupter Veränderungen, zu rechnen ist.

Abbildung 2: 7-Phasen-Modell zur Kompetenz der Veränderungssteuerung (Streich, 1997)


Nach dem 7-Phasen-Modell lassen sich sieben klar definierte Phasen unterscheiden. Wenn die Führungskraft diese Verhaltensweisen kennt, können Veränderungsprozesse im Unternehmen daran ausgerichtet, mögliche Widerstände frühzeitig erkannt und beseitigt werden.

Im Folgenden werden diese sieben Phasen und ihre Charakteristika genauer beschrieben.

Phase 1: Schock, Überraschung

Die Mitarbeiter werden mit dem notwendigen Wandel konfrontiert. Die typische Reaktion in dieser Phase ist Schock und Überraschung, Angst vor der neuen Situation und Unverständnis. Dies schlägt sich häufig in sinkender Produktivität nieder, denn die Mitarbeiter bekommen vermittelt, dass bisherige Verhaltensweisen für die neue Situation nicht geeignet sind.

Phase 2: Verneinung, Ablehnung

Nach dem ersten Schockzustand schließen sich die Betroffenen gegen die Veränderung zusammen, um klar zu machen, dass die angekündigten Maßnahmen aus ihrer Sicht überflüssig sind. Typische Aussagen in dieser Phase sind: „Das kann doch nicht sein, wir haben es doch bisher immer richtig gemacht.“ In solchen Reaktionen manifestiert sich die Angst, gewohnte Strukturen und Teile der vertrauten Unternehmenskultur zu verlieren.

Phase 3: Rationale Einsicht

Die Mitarbeiter erkennen, dass ihre ablehnende Haltung gegenüber der Veränderung nicht den gewünschten Erfolg bringt und sehen ein, dass ein Wandel unvermeidbar, vielleicht sogar notwendig ist. Allerdings ist eine tiefergehende Bereitschaft eigene Verhaltensweisen grundsätzlich zu überdenken noch nicht vorhanden. Vorerst werden nur erste, oberflächliche Veränderungen wahrgenommen und eher kurzfristige Lösungen gesucht.

Phase 4: Emotionale Akzeptanz

Am tiefsten Punkt, im oben aufgezeigten Verlauf, kommt es zur entscheidenden Wendung. Die Mitarbeiter beginnen die Veränderung zu akzeptieren und sie nicht nur zu verstehen. Es werden gewohnte Verhaltensweisen verlassen, eine grundlegende Neuorientierung kann nun beginnen.

Phase 5: Ausprobieren, Lernen

Die Mitarbeiter fangen an mit der Situation umzugehen, es entwickelt sich Neugier auf das Neue und die damit verbundenen Handlungen. Durch Erfolge und Misserfolge wird gelernt, welche Verhaltensweisen angebracht sind.

Phase 6: Erkenntnis

Es tritt die Erkenntnis ein, dass die Veränderung auch etwas Gutes hat. Durch erste Erfolge vollzieht sich eine Erweiterung der eigenen Fähigkeiten, und die Integration der Handlungen in den Alltag beginnt.

Phase 7: Integration

Die neuen Handlungs- und Verhaltensweisen werden letztlich von den Mitarbeitern vollständig in den Alltag integriert und als selbstverständlich erachtet.
 

Das 3-Phasen Modell von K. Lewin (1947) basiert auf der sogenannten „Feldtheorie“: Demzufolge wirken in Organisationen grundsätzlich zwei Kraftfelder:

  • Widerstrebende Kräfte: Diese Kräfte lehnen Veränderungen ab. Der Status quo und damit Sicherheit und Stabilität sollen erhalten bleiben.
  • Antreibende Kräfte: Veränderungen werden von diesen Kräften befürwortet. Bestehende Gewohnheiten und Prozesse sollen aufgebrochen und verbessert werden.

Abbildung 3: 3-Phasen Modell für soziale Veränderung in einer Gesellschaft (Lewin, 1947)


Die drei Phasen im Veränderungsprozess lassen sich wie folgt beschreiben: 

Auftauen (Unfreezing): In der Phase des Auftauens, in denen die drängenden wiederstrebenden Kräfte überhand gewinnen, erfolgt zunächst die Vorbereitung auf die Veränderungen, wie Analyse, Information, Diskussion und Motivation. Ein Veränderungsbewusstsein wird initiiert.

Ändern (Changing): In der Phase des Änderns finden die eigentlichen Änderungen statt. werden Änderungen durchgeführt, Lösungen werden generiert, Neues wird ausprobiert, Reaktionsweisen werden herausgebildet und der Status Quo wird verlassen. Dies erfolgt durch Verantwortungsübernahme, Trainieren und Überwachen der Prozesse.

Wieder Einfrieren (Refreezing): Unter der dritten Phase, dem Wieder Einfrieren, versteht Lewin die Um- und Eingewöhnung an die neue Situation. Durch Stabilisierung und Implementierung der neuen Strukturen soll ein Zurückfallen in alte Muster vermieden und das neues Gleichgewicht hergestellt werden.


Aber welches Modell ist jetzt das Richtige?

Über alle gezeigten Modelle ähneln sich die Aufgabenstellungen an Führungskräfte im Veränderungsprozess:

  • Kommunikation mit allen Betroffenen
  • Beteiligung aller betroffenen Mitarbeiter, möglichst frühzeitig & ganzheitlich
  • Relevanz von Ziel- & Visionsentwicklung
  • Motivation, Wille, Fähigkeit & Qualifizierung für den Wandel in der Führungsetage, wie auch bei den Mitarbeitern

Die [bu:st]-Kurve der Veränderung hilft, Wandel in der Organisation zu verstehen und zielgerichtet zu steuern.

Sie unternimmt den Versuch, die gezeigten Modelle miteinander zu verknüpfen, zeigt deshalb, wie schon bei Kübler-Ross, Streich und Lewin zuvor, die Gefühle und Fähigkeiten des Menschen im Zeitverlauf des voranschreitenden Veränderungsprozesses, widmet aber zusätzlich große Aufmerksamkeit einer vorausgehenden Planungsphase (Planning) und gibt Hilfestellung bzgl. dem Einbezug jedes einzelnen Betroffenen.

Egal ob als Change-Berater, Führungskraft oder Mitarbeiter, welcher von einem Veränderungsprozess betroffen ist, die [bu:st]-Kurve der Veränderung dient allen dazu, Maßnahmen einzuleiten, welche dazu beitragen, Wandel in Organisationen begreifbar zu machen und Neuerungen zukünftig erfolgreich zu etablieren.

Abbildung 4: [bu:st]-Kurve der Veränderung (eigene Darstellung)


Die verschiedenen Aspekte der [bu:st]-Kurve sowie mögliche Handlungsempfehlungen werden nachfolgend ausführlich erläutert.

Planning:

Die Planungsphase ist im Change Management deshalb so wichtig, da sich hier frühzeitig auf mögliche Störungen und relevante Aufgaben im Verlauf der Veränderung vorbereitet werden muss.

Vorahnung: Meistens vernehmen Mitarbeiter bereits vor offiziellen Ankündigungen erste Hinweise auf ein geplantes Change-Projekt.

  • Führungskräfte beziehen gegenüber den Mitarbeitern Position.
  • Höchstmaß an Ehrlichkeit notwendig, denn Führungskräfte können nur Begleiter von Veränderungen sein, wenn Mitarbeiter Vertrauen zu ihnen haben.
  • Vor offizieller Ankündigung der Veränderung sollten keine Informationen durch das Unternehmen laufen.

Unfreezing:

In dieser Phase werden die Betroffenen das erste Mal mit der bevorstehenden Veränderung konfrontiert. Dies kann sich in den unterschiedlichsten Reaktionen widerspiegeln.

Schock: Unsicherheit über das, was kommt, verhindert den Blick auf die möglichen Chancen der Veränderung.

  • Führungskräfte nehmen die Sorgen und Bedenken ihrer Mitarbeiter ernst und beantworten deren Frage so gut wie möglich.

Verweigerung: Die Mitarbeiter lehnen die Veränderung ab und stellen den Sinn in Frage.

  • Die Führungskraft beschreibt in dieser Phase möglichst konkret, was es bedeuten würde, wenn die Dinge so blieben wie sie sind.
  • Es geht darum, die Vorteile und die Notwendigkeit der Veränderung aufzuzeigen, um den Sinn zu untermauern.

Zorn: Entwickelt sich bei den Betroffenen Zorn, haben diese keine Verantwortung mehr für ihre Gefühle und zeigen Ärger und Frustration. Die Lösungsansätze zur Phase der „Verweigerung“ kommen hier ebenfalls zur Anwendung. Zusätzlich ist folgendes zu beachten:

  • Dem Mitarbeiter ist der Raum für seine Emotionen einzuräumen.
  • Die Gründe des Zorns und auch auf welche Aspekte der Veränderung sich dieser konkret richtet sind zu hinterfragen.

Verhandlung: In der Phase der Verhandlung entwickelt der Mitarbeiter Vermeidungsverhalten und möchte der Veränderung ausweichen.

  • Die Führungskraft zeigt Gründe auf, warum die Veränderung notwendig ist und welcher Mehrwert auch für den Mitarbeiter selbst dabei entsteht.
  • Klarheit schaffen, dass der Wandel vollzogen werden muss. Einen Weg zurück gibt es nicht.

Depression: Die Leistungsbereitschaft ist in der Phase von „Depression“ deutlich eingeschränkt.

  • Führungskräfte sind Vorbilder und Modelle, an denen sich Mitarbeiter gerade in Veränderungsprozessen auch unbewusst orientieren.
  • Die Führungskraft zeigt Verständnis, drückt aber gleichzeitig mit dem eigenen Verhalten eine deutliche Konzentration auf die Zukunft und das Zielbild aus.

Transitioning:

In dieser Phase beginnt der Wandel. Hier ist darauf zu achten, Veränderungsbereitschaft in der breiten Masse zu schaffen.

Akzeptanz: Die Phase der Akzeptanz ist als Durchbruch und entscheidender Wendepunkt im Verlauf des emotionalen Prozesses zu sehen.

  • Change-Manager wissen, dass diese Phase von einer tiefen Trauer gekennzeichnet ist, denn es geht um Loslassen und Abschied nehmen.
  • Führungskräfte geben ihren Mitarbeitern Zuversicht und bestärken sie in dem Gedanken, den Anforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.

Erkundung: Beim Erkunden zeigen Mitarbeiter deutliches Interesse an den neuen Aufgaben oder Arbeitsweisen und probieren neues Verhalten aus.

  • In dieser Phase sind Führungskräfte regelrechte Unterstützer des Wandels. Sie begegnen Fehlern mit einer höheren Toleranz, damit Mitarbeiter sich trauen, neues Verhalten auszuprobieren.
  • Auch kleine Erfolge werden anerkannt. Auf diese Weise unterstützt die Führungskraft eine Lernkultur, die zwingender Bestandteil eines Veränderungsprozesses sein muss.

Refreezing:

Beim Wieder Einfrieren geht es darum, jegliche Neuerung zu etablieren. Im Wesentlichen ist darauf zu achten, dass alle Beteiligten die Veränderung zukünftig mittragen.

Entdeckung: Erkenntnis, dass die Dinge nicht so groß sind und dass die Wahrheit neue Möglichkeiten und Verbesserungen ermöglicht.

  • Führungskräfte sind hier Verstärker des Erfolges. Sie nutzen die Phase, um das Gelingen des gesamten Change-Projektes zu betonen und zu verdeutlichen.
  • Das Vertrauen der Mitarbeiter ist in zweifacher Hinsicht zu stärken: zum einen in ihre eigenen Fähigkeiten, mit Veränderungen umzugehen und zum anderen in die Kompetenz des Managements als Initiator für Veränderungen.

Integration: Die Veränderung ist zur neuen Realität geworden.

  • Die Rolle der Führungskraft als Begleiter des Veränderungsprozesses ist für dieses Projekt abgeschlossen.
  • Wichtig ist, aus der Erfahrung zu lernen und sich bewusst zu machen, in welcher Phase das eigene Verhalten nützlich und in welcher möglicherweise weiter zu entwickeln ist.
  • Sinnvoll ist ebenfalls, das Team an dieser Evaluierung teilhaben zu lassen.

Was bleibt abschließend zu sagen?

Elisabeth Kübler-Ross verstand ihr 5-Phasen-Modell ursprünglich als Reaktion auf jede Art von Verlust. Es geht hierbei um das Aufzeigen unbewusster Bewältigungsstrategien zum Umgang mit äußerst schwierigen Situationen.

Teile dieses Modells in die Welt der Organisationsentwicklung zu übernehmen und damit den emotionalen Umgang von Individuen mit organisationalen Veränderungen zu beschreiben, hat nicht zuletzt deshalb seine Daseinsberechtigung.

Trotzdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass vor allem die in der Organisation gelebte Kultur ausschlaggebend für erfolgreiche Veränderungen ist.

Lernende Organisationen sollten demzufolge unbedingt auf einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess setzen. Die [bu:st]-Kurve der Veränderung ist aus diesem Grund nicht statisch, sondern als stetig anwachsende Lernkurve zu betrachten. Ist ein Veränderungsprozess „abgeschlossen“, wird die aktuelle Situation neu bewertet und das nächste Ziel, auf dem Weg zum Streben nach Perfektion, rückt in den Fokus (ganz im Sinne des KVP – kontinuierlicher Verbesserungsprozess).

So unterliegen lernende Organisationen einer kontinuierlichen Transformation, die aus innerer Entwicklung und nicht aus externem Druck hervorgeht.

Denise Reckerth

Expertin für Organisationsentwicklung

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